Im Tal der Wölfe

24.09.2023

Gewiss haben die Dusche und das WLAN ihre Vorzüge. Auch das Schwimmen im Pool fand ich sehr reizend. Nur diese Campingnachbarn mit den übermotorisierten Behausungen bräuchte ich nicht. Auch die grillende spanische Familie, welche laut ihre Umgebung beschallt, ziehe ich einem stillen Plätzchen mit Aussicht nicht vor.

Dieses unheimliche Wolfsgeheul malträtiert meinen Schlaf seit Stunden. Mit der Dämmerung setzte es erstmals ein, gefolgt von aufgebrachtem und energischem Hundegebell. Zu dieser Zeit hätte ich mich noch dislozieren können und mein Zelt auf dem Campingplatz neben den niederländischen Hymer mit Küche und Bad platzieren können. Jetzt ist es zu spät. Von der nahen Europastrasse erreicht mich seit Stunden kein Rollgeräsuch mehr. Ich bin alleine. Der bestechende Kosmos über meinem Haupt interessiert mich zurzeit nicht. Nun heulen sie schon wieder. Sie scheinen sich zu entfernen, immerhin. Doch die Nacht dauert noch sechs Stunden. Vorsorglich tippe ich meine Koordinaten in das sms, das ich an die Guardia Civil vorbereite. Zuerst einen Anruf, dann die Koordinaten als Textnacht.

Ich gehöre nicht zu den Menschen die sagen, sie würden alles im Leben genauso nochmals machen. Das erscheint mir zu floskelhaft und unreflektiert. Den Militärdienst würde ich von Anbeginn verweigern, ganz bestimmt. Auch würde ich früher zu mir stehen. Das kommt mir spontan in den Sinn. Soll ich Marcel schreiben dass ich ihn liebe? Nein, das ist eine unzureichende letzte Nachricht. Ein bisschen mehr Inhalt vielleicht? Silvan, dass ich gerne auf seine Rückkehr gewartet hätte, nun aber fernbleibe? Weshalb? Weil ich nur noch Knochen bin? Wird mein Geist überleben? Eigentlich glaube ich nicht an ein Leben nach dem Tod. Aber wer weiss das schon. Und Mama? Dass alles gut kommen wird?

Wie lange wird es dauern bis sie mein neues Zelt in Fetzen gerissen haben? Am besten ich wickle meinen Hals fest ein, dort beissen sie zuerst zu - zumindest bei Tieren. Ich werde mir viele Kleider anziehen und verharre im dicken Schlafsack. Dauert so das Leiden nicht noch länger? Das Messer, es muss her. Ich werde in alles wuchtig hineinstechen. Doch damit habe ich erst noch das Nachtessen zubereitet. Locke ich sie damit nicht erst recht her? Ich warte. Menschliche Geräusche vertreiben Bären. Gilt das auch bei Wölfen? Auf dem Natel suche ich mir ein Jodelstück, das klingt menschlich. Oder eine Klaviersonate? Ich werde mit der Stahlflasche gegen das Blech der Pfanne schlagen, vielleicht haben sie empfindliche Ohren. Überhaupt werde ich mit dieser Flasche gegen alle Schnauzen und Schädel schlagen, die ich erkenne. In der Rechten das Messer da bin ich präziser und in der Linken die Flasche. Soll ich ein paar Luftschläge üben? Dann habe ich ja noch meinen Benzinkocher. Ich könnte eine Benzinspur legen und diese dann anzünden. Aber das ist vom Zelt aus zu gefährlich. Was wenn die gesamte Umgebung Feuer fängt? Darf ein Mensch die Natur durch Feuer schädigen nur um sein Leben zu retten? Ich könnte wenigstens den Kocher anzünden. Das könnte mit den Flammen bereits abschreckend wirken.

Oh, sie sind jetzt bereits auf der anderen Talseite. Da sind überall welche. Das ganze Tal ist voll von ihnen. Weshalb sollten sie mich verschonen? Weil ich ein Mensch bin? Hätten sie an mir überhaupt genug? Habe ich Fleisch an mir? 2:13 Uhr. In gut fünf Stunden dämmert es. Wann speisen Wölfe eigentlich? In der ersten Nachthälft? Hoffentlich...

© 2023 Sandro's Reiseblog. Alle Rechte vorbehalten.
Unterstützt von Webnode
Erstellen Sie Ihre Webseite gratis! Diese Website wurde mit Webnode erstellt. Erstellen Sie Ihre eigene Seite noch heute kostenfrei! Los geht´s